Gibt es bauchfreie Tops eigentlich auch mit Stoff vor dem Bauch?

Menschen wie ich kommen an einem traurigen Märztag mit Nieselregen und sechs Grad plus an einem Sportartikelladen vorbei. Solche Geschäfte sind Menschen wie mir egal, außer im März. Da bilden sich diese Menschen allen Ernstes ein, zack-zack-frühlingsfit zu werden.

Ich bin bereit! So was von! Manifestieren heißt das neue Zauberwort, alles, was im Kopf passiert, passiert in echt! Ich manifestiere eine gut gelaunte, sportliche Frau, die beschwingt die Hanteln schwingt, in farbenfrohen Leggings und mit frischen Sneakers gazellengleich den Wienerwald durchquert und lässig auf dem E-Bike, bergauf, eine Gruppe in die Jahre gekommener Herren in blamabel auffälligen Rad-Uniformen (bauchfrei, mit elastischen Hosenträgern) überholt. Servus, Burschen, geht’s eh noch mit der Luft?

Der erste Schritt zur erfolgreichen Manifestation ist banal. Sachen einkaufen. Geht natürlich auch im Internet. Aber wo man schon einmal da ist, es draußen nieselt und drinnen so schön bunt ist … Vor allem an den knackigen Lauf-Klamotten finden Menschen wie ich heftigen Gefallen. Peach, Orange, Türkis sind jetzt angesagt beim Laufen.

Naaa, passt’s eh? Sportklamotten zu probieren gehört neben Urlaubskoffer-nach-dem-Heimkommen-Auspacken zu den Tätigkeiten, die ich nicht vermissen werde, wenn ich dereinst verschieden bin. Ich frage die Verkäuferin, ob’s das bauchfreie Top auch mit Bauch gibt, also mit Stoff vor dem Bauch natürlich. Nicht als bauchfreies Top, sondern als, äh, T-Shirt, das obenrum wie ein bauchfreies Top und unten wie ein T-Shirt geschnitten ist. Sie sieht mich an, wie seinerzeit der Typ hinter der Theke bei McDonalds meine Schwiegermutter angesehen hat, als sie die arglose Frage stellte, ob statt Pommes eventuell auch Salzkartoffeln oder etwas Brokkoligemüse verfügbar wären …?

Die Verkäuferin ruft nach Verstärkung, Menschen wie ich überfordern sie: „Chantaaal?! I hob a Kundin für di!“ Chantal wird ca. ein Drittel meines Alters haben. Menschen, die Chantal heißen, sind in ihrem ersten Lebensdrittel. Ninas und Tamaras sind schon weiter fortgeschritten. Auf dem Namensschild der Verkäuferin, die mit Menschen wie mir überfordert ist, steht „Sabine“. Ich kann Sabine verstehen, sie wird in meinem Alter sein, und ich würde um eine Kundin wie mich auch nicht auf der Blutwiese streiten.

Chantal sieht aus wie 14, Lehrling vermutlich, Generation TikTok. Sie mustert mich aufmerksam, verschwindet und kommt mit einem Berg bunter Klamotten zurück. Ich mag Chantal. Das grünliche Neonlicht der Kabine taucht meine Haut in beklemmendes Madenweiß. Chantals Knacke-Leggings sind ein Haucherl zu eng, dass man da hinein gepasst hat, ist ein, zwei Jährchen her.

Ein Mensch wie ich sieht das aber positiv und freut sich, dass Chantal VOR und nicht IN der Kabine ist und ich somit die einzige Zeugin des entwürdigenden Schauspiels bin: Frau im Zweikampf mit um zwei Nummern zu kleinen Leggings (in die Größe hab ich doch IMMER gepasst), die flauschige Hinternmasse, die sich über den Gummirand schiebt, entschlossen in den Hosenbund stopfend. Den Anblick möchte man sich eigentlich auch vor sich selbst ersparen, aber jetzt heißt es stark sein und Chantal ein Erfolgserlebnis bescheren: 

„Bisschen eng, aber wird schon gehen!“ Wenn ich beim Laufen eine Beatmungsmaske mit Luftzufuhr-Schläuchen aufsetze, geht’s wahrscheinlich wirklich. Zum Äußersten entschlossen verlasse ich mit meinen neuen Sportklamotten den farbenfrohen Tempel: Frühlings-Diät! Ab sofort! Werde gleich bei Mäcki fragen, ob zum Burger ausnahmsweise Brokkoli statt Pommes möglich wäre …?

Herzlich, Ihre

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