DIE ANTWORT IST LIEBE

 Auf meinem Weg von zuhause ins Büro liegen sechs Schulen. In den letzen Tagen nahm ich bewusst die dutzenden Mütter und Väter wahr, die ihre Kinder – manchmal fest an der Hand – zur Schule begleiteten. Das haben sie natürlich auch schon vor dem Amoklauf in Graz getan. Sie haben ihre Kinder in eine Institution gebracht, die als sicherer Hafen gilt, die für Bildung und für unser Zukunft steht. Noch gibt es, was die Horrortat und ihre Folgen betrifft, mehr Fragen als Antworten.


Und es gibt die Fakten:

Arthur. A., der aktuell eine Berufsausbildung absolvierte und als introvertierter, aber unauffälliger junger Mann galt, betrat am 10. Juni um 9:43 mit einem Rucksack, in dem er die Waffen hatte, seine ehemalige Schule. Er ging auf die Toilette, um die Waffen auszupacken. Dann begann der Amoklauf, der 7 Minuten dauerte. Er trug einen Waffengurt mit einem Jagdmesser, eine Schießbrille, ein Headset. Als Waffen nutze er eine Glock 19 und eine am Schaft abgesägte Schrotflinte. Zur Tatzeit befanden sich rund 400 Schüler im Gebäude. Um 10:07 erschoss sich Arthur A.

Hass auf SchulkollegInnen aufgrund von Mobbing wird als wahrscheinlichstes Motiv genannt. Dass es auch Hass gegen die Welt und gegen sich selbst war, darf spekuliert werden. Hass entsteht aufgrund von tiefen seelischen Verletzungen, Enttäuschungen, Kränkungen, Ohnmachtsgefühlen.

Niemand will bemerkt haben, dass mit Arthur A. etwas nicht stimmt. Ein Mitarbeiter des Schützenvereins, in dem der Amokläufer für zehn Euro ein Schießtraining absolvierte, gibt an, dass ihm der junge Mann empathilos vorkam, wie von einem anderen Stern. Nach dem Training sei er immer apathisch in der Ecke gesessen. Ein „Bubi, mit stechendem Blick“. Um knapp 300 Euro erwarb das „Bubi“  – wohl nach einem zweistündigen Gespräch – das psychologische Gutachten, dass ihn zum Waffenbesitz befähigte. Ein üblicher Vorgang, bei Menschen, die eine Waffe erwerben möchten. 

Wann es bei dem jungen Menschen Arthur A. „klick“ gemacht hat, wann der Entschluss gereift und festgestanden ist, seinem Hass auf Andere, auf die Welt und auf sich selbst in brutalster Form Raum zu geben, kann kein psychologisches Gutachten mehr ermitteln.

Arthur A. hat, wie jeder Massenmörder, eine Mutter. Ich kenne sie nicht, aber sie ist in diesen Tagen in meinen Gedanken, so wie auch die Mütter, Väter und Angehörigen der Opfer. Die Mutter des unauffälligen jungen Menschen, der unsägliches Leid verursachte und sich selbst umbrachte, hat vor der Tat ein Abschieds-WhatsApp von ihrem Sohn bekommen. Sie hat es nicht sofort, sondern erst nach 24 Minuten geöffnet und danach sofort die Polizei verständigt.  Sie war nicht ununterbrochen am Handy, nicht ununterbrochen erreichbar. Oder auch nur das eine Mal, als es lebenswichtig war, zu spät erreichbar. 

 Sein Kind zu verlieren ist der größtmögliche Alptraum. Sein Kind zu verlieren, dass andere Kinder, andere Menschen vorsätzlich getötet hat, ist… für mich ein gefühlsmäßiger Leerraum. Vermutlich zu unfassbar für Geist und Körper, um damit auch nur in irgendeiner Form umgehen zu können. Das Massaker in Graz ist unentschuldbar und dennoch von einem jungen Mann ausgelöst, der einmal ein Kind war. Vielleicht ein ganz normales, vielleicht ein seltsames, vielleicht ein unauffälliges, schüchternes, introvertiertes, vielleicht auch ein fröhliches, dass sich in der Pubertät oder irgendwann davor verändert hat. Schleichend oder plötzlich, wer kann das so genau sagen. 

Wir sind alle von Menschen umgeben, die ständig auf ihre Handys starren, die in ihren Blasen leben. Der eine oder andere mag seltsam scheinen, aber so seltsam nun auch wieder nicht, dass man reagieren muss. Der Bruder eines der getöteten Mädchen hat unter Tränen vor Tausenden Menschen über seine Gefühle gesprochen und den unfassbar großen, schönen und aktuell eigentlich unbegreiflichen Satz gesagt: „Unsere Antwort ist Liebe“. 

Nehmen wir die Menschen, die uns nahe stehen, fest in die Arme, sagen wir Ihnen, dass wir sie lieben. Das wird die Wahrscheinlichkeit solcher Taten nicht verhindern und trotzdem – im ganz Kleinen –  alles ändern.

Uschi Pöttler-Fellner

Herausgeberin Mediengruppe Look! 

Beitragsbild: © Elisabeth Lechner