FAMILY BUSINESS

Seit 1885 steht Ludwig Reiter für erstklassige Schuhe. Till Reiter und Tochter Anna Reiter-Smith über Zusammenarbeit, Zukunft und Ziele.

Sneakers „Trainer“.

VIELFALT. Rahmengenähte rote Sandale „Klimt“

TASCHEN-TRAUM. „Theresia“ entspricht ganz dem Stil von Ludwig Reiter: ein schicker Klassiker, angefertigt in mehr als 400 Schritten.

Historische Gutsgebäude und ein Schloss inmitten eines riesigen Parks – ein magischer Ort an der Wiener Peripherie, genauer gesagt: der Schuh-Himmel. Denn vor mehr als einem Jahrzehnt erweckten die Inhaber der traditionsreichen, 1885 gegründeten Schuhmanufaktur Ludwig Reiter das Gut Süßenbrunn samt Renaissanceschloss aus dem Dornröschenschlaf. Nach aufwendiger Revitalisierung werden hier seit 2010 pro Jahr von rund 60 hochqualifizierten MitarbeiterInnen 30.000 Paar rahmengenähte Schuhe erzeugt – die Königsklasse, formstabil und extrem haltbar. Mit Till Reiter und seiner Tochter Anna Reiter-Smith, 35, ist bereits die vierte bzw. fünfte Generation federführend im Familienbetrieb – und es wird weiterhin auf Tradition und Qualität gesetzt. Mittlerweile ist Ludwig Reiter eine der wenigen Manufakturen Europas, die rahmengenähte Schuhe herstellt –und in Österreich die einzige. Neben Klassikern wie „Wiener“, „Oxford“ und „Erzherzog Johann“ umfasst das Sortiment hochwertige Sportschuhe, Taschen und Leder-Accessoires. Verkauft wird in 13 Stores in Österreich, Deutschland und der Schweiz, darunter der Flagshipstore im Dreimäderlhaus in der Wiener Innenstadt, sowie in rund 200 erstklassigen Fachgeschäften und Boutiquen, auch etwa in England und Japan. Till Reiter und seine Tochter Anna im Interview über Zusammenarbeit, Zukunft und Ziele.

look!: Anna, Sie übernehmen nach und nach von Ihrem Vater die Bereiche Marketing und Verkauf. Welche Werte hat Ihnen Ihr Vater mitgegeben – wofür steht die Schuhmanufaktur Ludwig Reiter?

Anna Reiter-Smith: Ludwig Reiter steht für Qualität, für Tradition, für Familienbusiness – und für den Produktionsstandort Wien. Wir erzeugen unsere Schuhe in Süßenbrunn, viele unserer MitarbeiterInnen sind seit Jahrzehnten bei uns. Das ist extrem wichtig für die Qualität. Die Zusammenarbeit ist von gegenseitiger Wertschätzung getragen.

FAMILY BUSINESS. Till Reiter führt das Familienunternehmen in vierter Generation. Tochter Anna Reiter-Smith (r. im Bild) arbeitet bereits im Unternehmen. Tochter Magdalena (l. im Bild) ist derzeit karenziert, sie baute das Online-Business auf.

Rahmengenähte Schuhe gelten als „Königsklasse“ der Schuhmacherei. Was bedeutet „rahmengenäht“?

Till Reiter: Die Frage ist immer, wie man das Oberteil, den Schaft, mit der Sohle eines Schuhs verbindet. Wenn geklebt wird, ergibt das eine starre Verbindung. Verwendet man beim Kleben weiches Material, ist der Schuh nicht stabil. Beim rahmengenähten Schuh erfolgt die Verbindung von Schaft und Sohle über zwei Nähte: das Oberteil wird an den Rahmen, die Brandsohle, genäht und der Rahmen wird an die Sohle genäht. Das sorgt für einen unvergleichlichen Tragekomfort. Außerdem sind rahmengenähte Schuhe robuster und formstabil. Der Produktionsprozess ist natürlich aufwendig: In unserer Manufaktur durchlaufen Schuhe rund 300 Stationen, bis sie fertig sind.

Von „Wiener“ über „Budapester“ bis „Erzherzog Johann“, bei Ludwig Reiter gibt es zahlreiche Schuhklassiker. Wie viel Trend kann sich die Traditionsmarke Ludwig Reiter erlauben bzw. wie viel Innovation braucht sie?

Anna Reiter-Smith: Wir brauchen Veränderung und Innovationen. Das heißt aber nicht, dass wir jedem Trend nachgeben. Innovationen passieren ja auf den verschiedensten Ebenen – am simpelsten ist es, die Farbe zu verändern. Wir interpretieren unsere zeitlosen Designs mit kleinen, feinen Veränderungen immer wieder neu. Dabei bleibt aber die zeitlose Ästhetik, für die Ludwig Reiter steht, erhalten. Wir haben Modelle, die es seit mehr als 100 Jahren gibt, und sie sind heute so aktuell und schön wie einst.

Till Reiter: Das Klassische kommt nicht aus der Feder des Designers, sondern es ergibt sich aus der Arbeit am Produkt – sagte sinngemäß der italienische Designer Elio Fiorucci. Genau das machen wir bei Ludwig Reiter: Wir arbeiten jahrzehntelang mit einem bzw. an einem Schuhmodell, wir passen es minimal an die Zeit an. Diese jahrzehntelange Beschäftigung mit einem Modell bringt uns große Erfahrung beim Herstellungsprozess und beim Gebrauch, also beim Tragen des Produktes. Daraus ergibt sich die Chance, einen Schuh immer besser und besser zu machen. Das widerspricht natürlich dem Gedanken der Modeindustrie, jede Saison etwas Neues zu bringen.

Wie gehen Sie bei der Produktentwicklung vor?

Till Reiter: In Bezug auf Mode und Trends beobachte ich natürlich, was andere Firmen machen, aber generell interessiert mich Mode nicht besonders. Mode ist mir zu kurzlebig, das sind nur seismografische Ausschläge. Mich interessieren die darunterliegenden tektonischen Verschiebungen, bleibende Trends als Resultat langfristiger soziologischer Entwicklungen. Seit einiger Zeit gibt es eine sehr starke Verschiebung in Richtung legerer Bequemlichkeit und Komfort – deshalb habe ich auch den extrem bequemen und komfortablen Fellpantoffel „Pantalone“ entwickelt – es gibt ihn für Damen und für Herren. Grundsätzlich ist Bequemlichkeit ja nicht cool, sie ist eher unchic und unsexy. Wenn aber Bequemlichkeit durch modische Eruptionen als zulässig erklärt wird, dann gibt es tektonische Verschiebungen, das hat sich im Sneakers-Trend manifestiert.

Auf die Sneakers-Welle war Ludwig Reiter gut vorbereitet, es gibt mehrere Modelle im Sortiment, wie „Skipper“, „Tennis“ …

Till Reiter: … und „Trainer“. Er wurde zur Basis unserer eigenen Sneakers-Kollektion. Wir haben 1992 die Schuhfabrik Kitzmantel übernommen, sie war bekannt für Militär- und Arbeitsschuhe. Der „Trainer“ war ursprünglich ein Militärschuh. Designer Helmut Lang, der immer ein Faible für Produktgeschichte hatte, gefiel der Schuh und wir haben ihn 1995 im Rahmen einer Kooperation präsentiert. Quasi ein Turnpatschen für ein High-Fashion-Label – das war damals etwas völlig Neues.

Wir arbeiten jahrzehntelang mit einem Schuhmodell – das bringt enorme Erfahrung. Dadurch können wir den Schuh immer besser machen.


-TILL REITER

Tragen Sie Sneakers?

Till Reiter: Ja, ich trage den „Trainer“ sehr gern, aber grundsätzlich sind mir rahmengenähte Schuhe lieber.

Anna Reiter-Smith: Ich mag unsere „Tennis“-Sneakers, aber nur in der Freizeit. Sonst trage ich rahmengenähte Schuhe, am liebsten Schnallenschuhe. Meine Lieblingsmodelle sind „Augustinerin“, „Kapuzinerin“ und „Camaldulenserin“.

Herr Reiter, welches ist Ihr favorisiertes Modell?

Till Reiter: Der „Norweger“ mit Ledersohle, das Tragegefühl ist auch im Sommer herrlich.

Ludwig Reiter erzeugt nicht nur Schuhe, sondern auch Taschen. Besonders schön ist das Modell „Theresia“.

Anna Reiter-Smith: Die Tasche „Theresia“ ist aus einem Modell der Firma Schulz entstanden. Ludwig Reiter hat diese renommierte Wiener Firma im Jahr 2000 übernommen und wir haben das Taschenmodell vor ein paar Jahren in unser Sortiment aufgenommen.

Jede Reiter-Generation hat Großes für das Unternehmen geleistet. Ludwig Reiter II. brachte etwa die Goodyear-Maschine aus den USA, mit der rahmengenähte Schuhe genäht werden können. Ihr Vater, Till Reiter, machte u. a. die Schuhklassiker von Reiter für die jüngere, qualitätsbewusste Käuferschicht interessant. Anna, was ist Ihre Vision?

Anna Reiter-Smith: Ich möchte Ludwig Reiter über die Grenzen Europas hinausbringen, etwa in die USA und nach Japan – dort die großartige Qualität unserer Schuhe bekannt machen, das fantastische Handwerk, die zeitlosen Designs.

Beitragsbilder: © Jamie McGregor, beigestellt