Da stehe ich also in meinem Garten. Alleine. Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen. Kein Lipgloss aufgetragen. Es ist früh, ganz früh am Morgen. Die geliebte Sippe schlummert noch in ihren warmen Heiabettchen.

NEBELSCHWADEN im Apfelbaum. Nacktschnecken ziehen ihre Bahnen durch das feuchte Gras, eher nicht mein Fall. Bin extra früh auf, damit mich keiner sieht, denn das, was ich gleich erledigen werde, mache ich am liebsten ganz mit mir alleine aus. Nur ich, der Garten und das Laub.

EINE STUMME EINHEIT. Voller Güte blicke ich auf das bunte Laub. Leuchtend gelb-orange ist es, was für eine feine Farbe! Ei, was ließen sich daraus für hübsche Basteleien machen! Gigantisch große Blätter-Collagen. Weihnachtsgirlanden, falls man das Laub mit goldener Farbe überzieht. Prächtige Laub-Couture für Puppen. Und Schmuck natürlich, haben Sie schon einmal was von Laubschmuck gehört? Die Bastel-Teufelchen unter Ihnen wissen, was ich meine. Haben Ihre Kinder übrigens auch so gern mit Laub gebastelt? Oder basteln sie noch? Wie nett! Bitte stellen Sie ausreichend Stauraum zur Verfügung, damit die lieben Kleinen jede Ecke Ihres Heimes mit Kunst aus Laub verhübschen können. Es ist doch immer fein, wenn man sich in ein kreatives Umfeld eingebettet weiß.

ZURÜCK IN DIE IDYLLE. Der Garten. Ich. Das Laub. Mein Laub. Ich fühle mich als Herrin des Laubes. Vielleicht sollte ich einmal mit einem Kriminalpsychologen darüber reden, wie sich TäterInnen fühlen, kurz bevor sie zu WölfInnen werden. Vielleicht fühlen die ähnlich wie ich.

AUSNAHMEZUSTAND. Ich will es tun. Ich muss es tun. Auge in Auge mit dem Laube, ziehe ich runter meine Haube (so ein Garten inspiriert auch lyrisch gesehen). In jedem Täter wohnt auch ein Poet und umgekehrt natürlich auch. Vorübergehend hat es sich nun aber auspoetisiert. Sie sollten mich jetzt sehen. Nicht nur aus Kälteschutzgründen trage ich im Garten gerne meine Bankräuberhaube, schwarz, mit Mund und Sehschlitzen. Sie passt perfekt zu IHM.

UND ER RUHT SCHWER in meiner Hand, was sage ich, in meinen Pranken. „Großmutter, warum hast du so riesige Pranken?“, fragen die unschuldigen, bunten Laubblätterchen. Na, warum wohl? Damit ich IHN besser fassen kann, meinen Turbo-Laubsauger mit Viertaktgebläse, Elektromotor und Laufrolle zum Saugen und anschließenden Häckseln! Tonnenweise Bastelarbeiten, so wie sie mir jahrzehntelang den Platz in der Garage verstellt haben, in Kisten gelagert, in Säcken gehortet, von ungeschickten, kleinen Händen gefertigt und zum Ungeliebtsein verdammt. Also, ich möchte in meinem nächsten Leben nicht als Laubblatt auf die Welt kommen und in einer Garagenkiste enden.

UND JETZT. LOS. Sauger an! Häcksler in Stellung bringen! Der extraleise, doch leistungsstarke Motor des Kombigerätes surrt verzückt. Ich sauge und sauge und sauge, bereite alles vor für die anschließende Zerstörung, Vernichtung durch gnadenloses Häckseln, Häckseln, Häckseln!

DAS GRAUEN TRÄGT MEINEN Namen. Sollten wir uns nicht mehr treffen, habe ich mich soeben aufgesaugt und entsorgt, es ist so ein befreiendes Gefühl …

Herzlich, Ihre

Beitragsbild: © Elisabeth Lechner