Am 7. September findet der 16. Diversity Ball zum zweiten Mal im Wiener Rathaus statt. look! hat mit Ballmutter Monika Haider über Akzeptanz und Inklusion in unserer Stadt gesprochen.

Seit Jahren setzt sie sich für die Vielfalt der Barrierefreiheit in Wien ein: Monika Haider liebt und lebt, was sie tut. Die Vorbereitungen für den Ball, der mittlerweile zu einer fixen Instanz in der Wiener Ballkultur geworden ist, sind in vollem Gange. Unter dem Motto „We are many“ soll Vielfalt nicht nur anerkannt, sondern auch gefeiert werden, mit einem Hauch von Glamour und einem Herzen voll Engagement. 

EIN FEST FÜR ALLE. Mehr als 3.000 Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Kulturen, Hintergründen und Identitäten feiern am 16. Diversity Ball im Wiener Rathaus ein barrierefreies Miteinander. 

look!: Warum hast du 2007 den Ball gegründet?

Monika Haider: Ich hatte damals schon ein Schulungsinstitut für Gehörlose. Gebärdensprache war nicht sichtbar und nicht als Sprache anerkannt. Für viele Leute war es ein Fuchteln. Ich habe mich schon lange mit Diversität beschäftigt und damit, was es bedeutet, Teil einer Minderheit zu sein. In Österreich gibt es jede Menge Minderheiten und wir alle sind in irgendeiner Form Teil einer Minderheit. Ich wollte meine Themen Gehörlosigkeit und Gebärdensprache in die Gesellschaft bringen. Nur wenn das Thema dort angekommen ist, reden wir von Inklusion. Der Ball sollte ein Mittel sein.

Was bedeutet für dich Diversität?

Die Vielfalt zu sehen und in unserer Gesellschaft zu benennen. Ich bin zum Beispiel eine ältere Frau und organisiere einen Ball, aber manchmal bin ich Teil von etwas anderem. Ich bin der Meinung, dass Diversität gemanagt werden muss. Am Anfang waren das nur Gehörlose, und ich wollte Gebärdensprache als kulturelles Gut in eine Veranstaltung bringen. Damals gab es noch den Life Ball, da wurde auch viel aufgebrochen, aber es war mir zu wenig, weil es nur eine Dimension dargestellt hat, nämlich hauptsächlich die LGBTQIA+-Community. Ich wollte Menschen mit Behinderungen und ganz speziell auch die Wirtschaft mitnehmen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Von Beginn an habe ich mit anderen Organisationen zusammengearbeitet, damit Vielfalt vertreten ist. 

Ist die Gebärdensprache schwer zu erlernen?

Es ist eine eigene Sprache, die die meisten Menschen unterschätzen. Es braucht die rechte und die linke Gehirnhälfte, die miteinander vernetzt werden müssen. Man benötigt schon zwei bis drei Jahre, um sie zu erlernen, wie für jede andere Sprache. 

Was hat sich seit der Gründung des Balls verändert? 

Am ersten Ball waren 300 Leute. Wir haben bei uns im Haus Unterwäsche produziert, und unsere Gehörlosen sind als Models gelaufen. Der DJ war fasziniert, dass sie sich im Takt bewegt haben. Wir wussten nach dem ersten Jahr, dass der Ball eine Fortsetzung braucht. Wir waren dann im Jugendstiltheater und im Kursalon. Da kamen schon sechsmal so viele Leute. Heute ist es natürlich unglaublich schön, dass unsere private Initiative im Rathaus Platz gefunden hat. Ich finde, der Ball gehört auch ins Rathaus, weil er unsere Stadt repräsentiert. Mittlerweile kommen mehr als 3.000 Menschen, und wir sind wochenlang vorher ausverkauft. Das zeigt, dass er gebraucht wird.

www.elisabethlechner.at

BOTSCHAFT FÜR EUROPA. Monika Haider hatte eine behinderte Schwester und erlebte von klein auf, was es heißt, mit Behinderung aufzuwachsen. Sie könnte sich vorstellen, dass der Ball auch in anderen Ländern stattfindet. 

„Das Schönste ist, wenn Menschen meine Ideen und Gedanken zu ihrer eigenen Sache machen.“

– Monika Haider

Ist unsere Gesellschaft aufgeschlossener geworden? 

Auf den ersten Blick ja, aber dahinter ist noch viel zu tun. Es gibt große Unternehmen, die eigene Diversity-Abteilungen haben, bei kleinen und mittleren Unternehmen besteht aber sicher noch Handlungsbedarf. Der Blick auf Gebärdensprache hat sich gravierend verändert. Heute sind Gehörlose stolz auf ihre Sprache. Allerdings erleben wir einen Rechtsruck und andererseits auch den Krieg, mit dem wir nicht gerechnet haben. 

Heuer wird erstmals der „Preis der Vielfalt“ vergeben. Braucht es unbedingt Preise? 

Absolut. Wir holen Unternehmen und Organisationen vor den Vorhang, die unsere Welt offener, besser und inklusiver machen. Wir brauchen die Sichtbarmachung und die positive Verstärkung, gerade weil auf der anderen Seite ziemlicher Druck ausgeübt wird. Der Preis ist unser Mittel, um die Öffentlichkeit zu erreichen, und er gibt vielen Menschen die Möglichkeit, Vorbilder zu finden. Ich habe gehörlose Menschen zu TrainerInnen ausgebildet, und plötzlich hatten die jungen Gehörlosen Vorbilder, die ihnen vermittelten: Ihr könnt das auch schaffen. 

Dino Schosche von Alpha plus sagt „Am Anfang steht Diversität. Am Ende Inklusion“. Was meinst du ? 

Solange wir Diversität benennen und sie managen müssen, sind wir erst auf dem Weg. Inklusion ist dann, wenn wir nicht mehr darüber sprechen müssen. 

Du bist ausgebildete Pädagogin. Woher kommt dein Bezug zu Gehörlosen? 

Mein erster Job während des Studiums war in einem Gehörloseninstitut. Damals, Ende der 80er-Jahre, war Gebärdensprache noch verboten. Gehörlose haben sich geniert, diese Sprache anzuwenden. In der Schule hatten die Kinder Hörgeräte, wo die Worte mithilfe einer Induktionsanlage verstärkt wurden. Jedes einzelne Wort haben sie auswendig gelernt. Gehörlose mussten mit einem Wortschatz von 400 Wörtern auskommen, während ein hörendes Kind bis zu 10.000 Wörter kennt. Ohne Sprache keine Bildung. Gehörlose mussten sich mit Hilfstätigkeiten zufriedengeben. In dieser Schule konnte ich beobachten, dass die gehörlose Putzfrau Lotte als Einzige in der Pause mit den gehörlosen Kindern im Garten in Gebärdensprache kommuniziert. Wenn es schwierig war, holte man immer die Lotte! Sie war meine Prinzessin, von der ich die ersten Gebärden gelernt und auch verstanden habe, dass Gehörlose für ihre Erstsprache den visuellen Input brauchen. Menschen mit türkischer Herkunft müssen gut Türkisch können, um gut Deutsch zu lernen.

Warum hast du 2004 dein Institut equalizent gegründet? 

Es war in erster Linie für die Ausbildung von jugendlichen Gehörlosen, heute haben wir Langzeitarbeitslose oder Menschen, die sich weiterbilden wollen. Wenn du den Staplerführerschein, eine Kochausbildung oder den Computerführerschein machen willst – wir sind bis heute das einzige Institut, in dem du dich in Gebärdensprache weiterbilden kannst.

Was sind heute die besonderen Herausforderungen? 

Die Tätigkeit hört nicht auf. Einerseits gibt es im Land eine größere Solidarität. Auf der anderen Seite braucht es mehr politisches Engagement, um dem politischen Rechtsruck entgegenzutreten. Österreich war immer ein Vielvölkerstaat. Natürlich müssen die Themen, die es gibt, angesprochen und dürfen nicht verschleiert werden.

Mit welchen drei Menschen würdest du gerne einen Abend lang diskutieren? 

Auf jeden Fall Conchita, jeder einzelne Satz von ihr ist großartig. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der inhaltlich keinen Fehler gemacht hat. Dann Sisi – sie war eine selbstbewusste, selbstständige Frau, die viel bewirkt und Menschen und Völker zusammengebracht hat. Bei Bertha von Suttner finde ich großartig, wie sie sich trotz eigener schwieriger Lebensbedingungen für den Frieden eingesetzt, aber nie ihren Glauben verloren hat. Sie hat das auch nach außen getragen. Das hat auch mit mir zu tun: Ich möchte auch Botschaften nach außen tragen.


Diversity Ball
„We are Many”.
7. September 2024. Auf fünf Dancefloors sorgen DJs und 300 KünstlerInnen in Live-Acts im Rathaus für Stimmung. Der Reinerlös wird zur Gänze für Projekte von und mit Menschen mit Behinderung verwendet.
www.diversityball.at 

© Christine Miess