In ihrem neuen Buch „Ich schwimme nicht mehr da, wo die Krokodile sind“ erzählt Sabine Kuegler von ihren faszinierenden Abenteuern im Regenwald Westpapuas, ihrer Erkrankung und dem letzen Rettungsversuch, der sie auf eine unerwartete Reise bringt. 

look!: Träumen Sie sich manchmal zurück in den Dschungel?

Sabine Kuegler: Am Anfang sehr. Heutzutage nicht mehr.

Was waren die schwierigsten Situationen in der Integration in die westliche Welt?

Die Menschen gehen hier anders miteinander um als im Urwald. Wenn man bei den Stämmen jemanden anschreit, bedeutet das Gefahr. Wut ist immer gefährlich. Hier wird Wut nicht so ernst genommen. Wenn ich im Stamm jemanden beschimpfe und laut werde, besteht die Gefahr, dass mich mein Gegenüber umbringt. Außerdem stellt man keine Fragen, weil das als sehr unhöflich gilt. In der globalisierten Welt ist es sehr wichtig, Fragen zu stellen. Diese Unterschiede waren für mich schwer zu begreifen.

Gibt es Situationen, in denen sich der „Großstadt-Dschungel“ dem echten Dschungel ähnelt?

Ja, die Menschen im Urwald tratschen gerne. Genauso wie die Menschen hier auch tratschen. Es wird sehr viel getratscht!

Sie wurden von den „Fayu“ zur Jägerin ausgebildet und haben dabei gelernt, auf Ihre Instinkte zu hören und sich auf Ihre Sinne zu verlassen. Hilft Ihnen das heute in der Business-Welt?

Ich habe mir lange eingeredet, dass ich mir meine geschärften Sinne nur einbilde, weil ich versucht habe, mich zu integrieren, und alles, was ich gekannt habe, wegzulegen. Ich habe ganz oft im Leben ignoriert, wenn ich Schlechtes vorausgeahnt habe – das mache ich heute nicht mehr.

Was ist der größte Unterschied zwischen dem Dschungel und der westlichen Welt?

Um im Dschungel zu überleben, muss man unsichtbar sein. Um in der westlichen Welt zu überleben, muss man sichtbar sein. So kann man das vereinfacht erklären.

Wie haben Sie gelernt, sich sichtbar zu machen?

Ich habe gelernt, mich selbst als individuelle Person anzuerkennen. Im Stamm übernimmt man die Verantwortung für alle anderen, aber nicht für sich selbst. Ich habe gelernt, mir selbst gegenüber Verantwortung zu tragen, Grenzen zu setzen und auch Nein zu sagen, wenn es nötig ist. Ich habe auch gelernt, dass ich mir selbst etwas Gutes tun muss, weil es sonst kein anderer tut. Im Stamm muss man das nicht. Man wird gefüttert, man wird versorgt. Ich habe gelernt, dass das in der westlichen Welt nicht so läuft.

Haben Sie Hobbys, die Sie an das Leben bei den Fayu zurückerinnern?

Überhaupt nicht. Nein, Hobbys kenne ich auch nicht, keiner im Dschungel hat Hobbys. Das Konzept ist eigenartig.

Würden Sie sagen, dass Sie ein Stück Natur in sich verankert haben?

Ja, und das wird immer so bleiben. Das ist auch in Ordnung so. Ich habe gelernt, dass meine Kindheit im Dschungel ein Teil meiner Identität ist, und das macht mich aus.

In Ihrem neuen Buch geht es um Ihre letzte Reise und die Suche nach der Heilung. Der Dschungel hat diese Heilung dann gebracht. Vertrauen Sie der westlichen Medizin noch?

Ja, absolut. Ich finde, westliche Medizin hat viele Vorteile. Was ich auch spannend finde, ist die chinesische Medizin. Ich persönlich glaube, dass Krankheiten in der Psyche anfangen.

Wie empfinden Sie die „Welt der Frauen“ als Stammesfrau im Vergleich zur Rolle der Frau in der westlichen Welt?

Frauen in den Stämmen haben mehr Selbstbewusstsein und sind stolz darauf, Frauen zu sein. Sie haben überhaupt kein Interesse an der Männerwelt. Frauen sind dort das Größte. Sie gehen auch besser mit Freundschaften um. Für Frauen in den Stämmen ist die Freundschaft mit anderen Frauen zum Teil wichtiger als die Ehe. Das gibt es hier nicht. Was ich schade finde, ist, dass die Frauen hier miteinander in Konkurrenz stehen. Männer tendieren mehr dazu, einander zu helfen, während die Frauen in der westlichen Welt dazu tendieren, einander anzugreifen.

Um im Dschungel zu überleben, muss man unsichtbar sein. Um in der westlichen Welt zu überleben, muss man sichtbar sein.

– Sabine Kuegler

STAMMESKINDER. Sabine Kuegler (r.) übt im Alter von ungefähr 7 Jahren mit ihrem kleinen Bruder Christian (l.) und einem Fayu-Kind (m.) das Bogenschießen.

LEBEN BEI DEN FAYU. Sabine Kuegler im Alter von ungefähr 16 Jahren inmitten des Fayu-Stammes im Dschungel von Westpapua.

Finden Sie, die westliche Welt hat allgemein zu wenig Verständnis für die Ureinwohner indigener Völker?

Ich finde, die westliche Welt ist genauso kolonialistisch, wie sie damals war. Mit dem Unterschied, dass heute genau das Gegenteil passiert. Ein Häuptling hat mir sehr frustriert erzählt: „Ihr seid hierhergekommen, vor 50 Jahren. Ihr habt uns gesagt, wir sollen uns anziehen, wir sollen zur Schule gehen, wir sollen eine Ausbildung bekommen, wir sollen uns andere Häuser bauen, wir sollen eure Medizin nehmen. Jetzt kommt ihr wieder und sagt, wir sollen uns ausziehen, wir sollen wieder in unseren Hütten leben, wir sollen wieder unsere Tradition leben. Was wollt ihr von uns?“ Ich finde, es ist sehr gefährlich, die Urvölker dazu zu drängen, so zu bleiben, wie sie sind. Es ist wichtig, das Land zu schützen. Und noch wichtiger ist es, zu akzeptieren, dass die Menschen der Stämme im Urwald sich auch weiterentwickeln wollen. Sie wollen eine Ausbildung machen, sie wollen Elektrizität, sie wollen Betten, sie wollen Öfen. Wir haben nicht das Recht, ihnen zu sagen, dass sie das nicht tun sollen. Was wir machen sollten, ist, ihnen dabei zu helfen, ihre Tradition weiterzuführen und ihr Land zu schützen.

DER DSCHUNGEL IN MIR. Ihre Geschichte hat Millionen von Menschen begeistert. Auf der Suche nach Heilung kehrt sie 2011 nach Westpapua zurück und trifft die Eingeborenen des Fayu-Stammes wieder.

Was erwartet uns in Ihrem neuen Buch?

Es geht um zwei Reisen. Die eine ist die Suche nach einem Heilmittel. Die andere ist die Reise in eine Welt, die vielen überhaupt nie gezeigt worden ist. Die Reise in eine Kultur, die sich seit Hunderten von Jahren nie verändert hat und die so anders ist als unsere.

Die Widmung geht an Micky. Wer ist Micky?

Micky kenne ich schon lange. Er kommt aus Papua-Neuguinea und ist der Häuptling des Clans, in dem ich aufgenommen wurde. Die Aufgabe eines Häuptlings ist es, nicht zu regieren, sondern zu dienen. Wenn ein Stammesmitglied krank wird, ist der Häuptling dafür verantwortlich. Diese Verantwortung hat er damals übernommen.

Er ist mit Ihnen auf die Suche nach einem Heilmittel gegangen?

Ja. Wir haben damals nicht gewusst, dass die Reise so lange dauern wird. Wir sind von einem halben Jahr ausgegangen. Am Ende waren es fünf Jahre.

Wie war es für Sie als Mutter, auf unbestimmte Zeit unterwegs zu sein?

Es war unbeschreiblich grauenvoll und fordernd. Der Schmerz, getrennt von den Kindern zu sein, ist hart.

Haben Sie jetzt eine gute Beziehung?

Ja, die Beziehung war nie gefährdet. Meine Kinder sagen, ich hätte in dieser Zeit mehr gelitten als sie.

Wie geben Sie Ihren Kindern die Erfahrungen von damals weiter?

Ich versuche, meinen Kindern Toleranz beizubringen und andere Menschen nicht zu werten. Wir haben hier wahnsinnig viele Vorurteile.

Sie sagen, die zwei Welten in Ihnen haben Frieden geschlossen. Wollen Sie noch einmal für längere Zeit in den Dschungel zurückkehren?

Für längere Zeit ja, aber ganz zurückgehen – nein.

Wissen die Fayu, dass Sie Bücher über sie schreiben und wie viel Einblick die Welt in diese Kultur bekommt?

Nein, ich glaube, sie könnten das Ausmaß nicht ganz begreifen.

MITTLERIN ZWISCHEN DEN KULTUREN. Nach über zwanzig Jahren kehrt Sabine Kuegler in den Dschungel zurück und begibt sich mit Häuptling Micky (oben l.) auf der Suche nach einem Heilmittel in den tiefsten Urwald von Westpapua und den Salomon-Inseln.

IHRE GESCHICHTE

Als Hardcover, 320 Seiten um € 24,70 bei thalia.at

Beitragsbilder: © Monika Albers, privat