Dr. Neli Hachemian ist Fachärztin für Gynäkologie und Medizinerin aus Leiden­schaft. Ihre Botschaft: „Als Frauenärztin ist Frau zu sein für mich mehr, als in einem Frauenkörper zu leben.“

look!: Liebe Neli, als Gynäkologin beschäftigst du dich nicht nur mit dem weiblichen Körper, sondern auch mit der Psyche deiner Patientinnen. Wie sieht dein Zugang zu Weiblichkeit aus?

Dr. Neli Hachemian: In erster Linie behandle ich Menschen und ich ver­suche, die Menschen dort abzuholen, wo sie gerade mit ihren Problemen oder dringenden Wünschen stehen. Als Frauenärztin ist Frau zu sein für mich mehr, als nur in einem Frauen­körper zu leben. Unsere Psyche ist für uns Frauen ein wesentlicher Bestandteil unserer Weiblichkeit. Deshalb höre ich genau zu, was meinen Patientinnen wichtig ist, damit sie sich in ihrer Weib­lichkeit gut aufgehoben und akzeptiert fühlen. Das fällt mir sicher leichter, weil ich selbst Frau bin und gut nachvollziehen kann, was meine Patientinnen berührt.

Du bist unter anderem auf Kinderwunsch spezialisiert. Warum ist dieses Thema so allgegenwärtig?

Früher sind Männer arbeiten gegan­gen und bereits im jungen Alter haben sich Frauen um den Haushalt und die Familie gekümmert. Heutzutage leben Frauen in einem neuen Gesellschaftsbild mit zusätzlichen Wünschen und Heraus­forderungen. Wir können uns, aufgrund unserer Ausbildungen und den damit verbundenen beruflichen Möglichkeiten und Verpflichtungen, nicht mehr so jung um die Familienplanung kümmern. Das Thema Familie tritt somit später auf und der Natur ist das leider egal. Die biologische Uhr tickt ab einem gewissen Alter, und das macht Frauen psychischen Druck und auch Angst, nie das Muttersein erleben zu dürfen. Deshalb spreche ich meine Patientinnen rechtzeitig an, ob sie überhaupt generell einen Kinderwunsch in sich tragen, und wenn sie einen haben, kann ich aus Erfahrung sagen, welcher Weg möglich ist. Ich arbeite mit einem internationalen, über Jahre aufgebauten Netzwerk von Ärzt*innen zusammen und bis heute habe ich es immer geschafft, gemeinsam mit diesen Spezialist*innen auch biologisch älteren Patientinnen diesen Wunsch zu erfüllen.

Was sind die häufigsten Anliegen deiner Patientinnen?

Junge Patientinnen haben oft Mens­truationsstörungen, Kontrazeptions­wünsche, Infektionen, Unterbauch­schmerzen. Schwangere möchten intensiv und sicher betreut werden und ihre Geburt mit mir erleben, Frauen im Vorwechsel leiden oft unter Harnwegs­infekten oder Blutungsstörungen und schließlich in den Wechseljahren unter Wechselbeschwerden. So ist das Spekt­rum von Patientinnenanliegen während eines Ordinationstags sehr vielseitig.

Welcher Aspekt deines Berufs macht dir persönlich am meisten Freude?

Mein erster Kontakt mit einer Patientin ist oft der Anfang einer jahre­langen Beziehung (lacht). Ob Frauen mich mit sexuellen Problemen aufsuchen und ich hier helfen kann oder ich dann die gleiche Patientin ein paar Jahre später bei einer Geburt begleiten darf oder eine Frau mit Blutungsstörungenoder Krebsvorstufen behandle, ist immer von großen Emotionen begleitet. Freude erlebe ich immer dann, wenn ich einer Patientin zu unserem gemeinsamen Ziel verholfen habe, sich seelisch und körper­lich in ihrer Mitte wieder zufrieden fühlen zu können. Da ich selbst Kinder liebe, ist die Geburt eines Kindes für mich persönlich die Krönung der Freude an meinem Beruf, die ich aufrichtig und von Herzen empfinde.

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HINGABE. Neli Hachemian ist leidenschaft­liche Mutter und ebenso Ärztin aus Berufung und Leidenschaft. © Bubi Dujmic

Ein Thema für jede Frau ist die Meno­pause. Kannst du Phytohormone, also die natürliche Alternative zur Hormon­therapie, empfehlen?

Absolut, aber das hängt von den Beschwerden ab und muss individuell in einem Gespräch zuerst herausge­funden werden. Wenn eine Frau von vornherein eine Hormonersatztherapie ablehnt oder diese medizinisch nicht vertretbar ist, ihre Wechselbeschwerden aber vorrangig sind und ihr Leben dadurch negativ beeinflusst ist, kann man nicht nur mit Phytohormonen, sondern auch mit der richtigen Ernäh­rung sehr viel bewirken. Wichtig ist auch, die Knochendichte und den Muskel­abbau nicht zu vergessen, um auch da sozusagen am Ball zu bleiben.

Als Ärztin im AKH Wien, wie auch als Mutter deines Sohnes Matteo, stehst du mitten im Leben – wie organisierst du deinen Alltag zwischen dem fordernden Beruf als Ärztin und deiner Familie?

Ich komme selbst aus einer Arzt­familie und bin mit diesem Leben groß geworden. Organisation und Zeitma­nagement ist als alleinerziehende Mutter meine tägliche Herausforderung. Akut gerufen zu werden und die Familie ver­lassen zu müssen, ist die größte organi­satorische Herausforderung, allerdings bin ich gut vernetzt und am Ende des Tages – oder einer Nacht (lacht) – kehre ich zu meiner Familie zurück und fokus­siere mich wieder auf meine Liebsten.

Warum setzt du dich als Medizinerin auch für Frauenrechte ein?

Jede Minute meines Lebens durfte ich, dank meines liberalen familiären und gesellschaftlichen Umfeldes, als Perserin frei entscheiden, wohin ich gehe, was ich trage, wie ich mich schminke, wen ich treffe, wen ich liebe und was ich studiere und beruflich tue und ent­scheide. Medizin bedeutet für mich nicht, einen Körper zu behandeln, sondern einen Menschen, ein Mädchen, eine Jugendliche, eine Frau, eine Mutter, eine Großmutter. Ich war ein freies Mädchen, eine freie Jugendliche und bin heute eine freie, erwachsene Frau. Ich liebe mein Leben. Meine beiden Eltern sind auch persi­schen Ursprungs und haben ihr Leben ebenfalls in Freiheit erlebt. Wie kann ich dann wegsehen, wenn ein paar Länder weiter, im Iran, Mädchen und Frauen für diese Freiheit verfolgt, bestraft, gefoltert und ermordet werden? Wir Frauen sind nicht nur biologisch deter­miniert, wir sind der Teil der Gesell­schaft, der für die Weiterführung unserer Spezies verantwortlich ist. Und das meine ich nicht nur biologisch, wenn ich mir so manches Handeln von Männern ansehe (lacht). Ich setze mich deshalb als Frau für unsere Frauenrechte ein und sehe mich als Hilfsmittel für diejenigen, deren alltägliche Bedürfnisse mit Füßen getreten werden.

Dein Leitspruch ist: „Nicht im Kopf, sondern im Augenblick des Herzens liegt jeder Anfang.“ Hast du dazu eine persön­liche Geschichte?

Jeden Tag gibt es in meinem Beruf diese persönlichen Geschichten meiner Patientinnen. Ob ich im AKH arbeite oder im OP stehe oder in meiner Ordi­nation: Nur mit unserem Herzen geben wir jedem Moment eine Bedeutung und schenken diesen Momenten unsere Emo­tionen. Das prägt mich und hilft mir, mit Leidenschaft bei der Sache zu sein. Ich liebe diesen Beruf nicht nur mit meinem Kopf, sondern auch mit meinem Herzen.

Beitragsbild: © Bubu Dujmic