Vor einem Jahr traf ich Susanne Prommegger schon einmal zum Interview. Damals sagte sie: „Ich kämpfe jeden Tag.“ In den vergangenen 365 Tagen ist viel passiert. Mit neuem Busen. Und neuer Sicht aufs Leben.

Und plötzlich war alles anders. 
Susanne Prommegger, heute 37, berufstätige Mutter von zwei Kindern, zart, sport­lich, ein fröhlicher Typ, verheiratet mit dem Spitzensportler Andreas Prommegger (Gesamtweltcupsieger im Snowboarden). Am 1. Oktober 2020 er­hielt sie die Diagnose Brustkrebs. Das Leben ihrer Familie – und vor allem ihr eigenes Leben – wurde auf den Kopf ge­stellt. Ein Jahr später sitzen wir einander wieder gegenüber. Susanne ist fröhlich, zeigt auf ihren „neuen“ Busen („Der ist fast noch schöner als der alte.“). An ihrer Seite ist ihr Mann Andreas, der, wie sie sagt, an ihrem Überleben entscheidend beteiligt war. Das Interview mit einem Paar, das durch viele Tiefen gehen musste. Und gemeinsam dadurch stärker wurde.

„Mein Mann war von Beginn an auch mein Mentor“, so Susanne Prommegger. © Maisblau

look!: Susanne, du sagst, ohne deinen Mann hättest du den Brustkrebs nicht überlebt, weil ER derjenige war, der dich in der schwersten Zeit nach vorne gepusht hat. Andreas, wie war das für dich, als es deiner Frau sehr schlecht ging und du wusstest, dass du derjenige bist, der sie jetzt auf allen Ebenen unterstützen muss?

Andreas Prommegger: Wenn so eine Diagnose in der Familie gestellt wird, ist es ein großer Schicksalsschlag, der dich aus dem Leben reißt, da stehst du vor einer Wand. Ich weiß noch genau, als wir die Diagnose bekommen haben, ich war dann der, der mit den Ärzten geredet hat – worum es geht, was Sache ist und was jetzt auf uns zukommen wird. Das habe ich dann aufgefasst und verarbeiten müssen. Ich habe dann meine Mental­trainerin angerufen, das ist eine sehr gute Freundin von mir, mit der ich wirklich über alles rede. Und die hat dann gesagt: Du musst dich jetzt zusammenreißen, wisch die Tränen ab und schau nach vorne – DU musst jetzt funktionieren. Und so war es dann tatsächlich. Mein Sport ist natürlich absolut zur Nebensache geworden. Es war mir klar, die Familie steht über allem und die Gesundheit noch mehr, das ist das wichtigste im Leben. Es war eine unglaublich schwierige Zeit, mit Höhen und vielen Tiefen. Ich glaube, die mentale Stärke, die ich mir durch den Sport aneignen durfte, ist mir sehr zugutegekommen und ich hoffe, dass ich der Susi da etwas weitergeben konnte. Ich möchte jetzt nicht behaup­ten, dass es ohne mich nicht funktioniert hätte. Aber als Familie sind wir den Weg gemeinsam gegangen und er war hart. Einerseits hatte die Susi durch die Kinder und mich mehr Kraft und Willen, dass sie das Ganze durch­ stehen kann. Andererseits war es auch schwierig, weil wir mit den Kindern immer offen geredet und sie darauf vorbereitet haben, was sein könnte. Das macht es nicht leichter. Den kör­perlichen Verfall ihrer Mutter mitzu­erleben, das ist etwas ganz Schwieriges für Kinder. Besonders herausfordernd war es als der körperliche Verfall einsetzte – für die Kinder, aber auch für mich. Trotzdem haben wir gewusst, als Familie müssen wir zusammenhalten. Das Schicksal ist uns auferlegt worden, es passiert nicht ohne Grund und ich glaube, wir haben unsere Lehren dar­aus gezogen, und sind gestärkt aus dem Ganzen rausgegangen.

Susanne und Andreas Prommegger im Interview mit Uschi Pöttler-Fellner. © Maisblau

Du sprichst vom körperlichen Verfall. Deine Frau liegt im Bett, kann nicht aufstehen, du betreust die Kinder, die fragen, was los ist – wie hast du da reagiert?

Andreas: Wir haben das Schicksal angenommen und gesagt: „Da müssen wir jetzt durch.“ Es ist, glaub ich, das Wichtigste, dass man den Kopf nicht in den Sand steckt und grübelt: „Warum ist das jetzt genau mir passiert?“ Ich habe geschaut, dass die Susi, so gut es geht, bei Kräften bleibt und auch Kraft aus der Natur schöpft, wenn es möglich ist. Natürlich, wenn die Blut­werte so schlecht sind, dass sie selber nicht stehen kann, ist es schwierig. Aber wenn es irgendwie möglich war, haben wir geschaut, dass wir rausgehen, auch wenn es nur ein paar Schritte waren.

Susi, das wolltest du wahrscheinlich in deiner Situation dann nicht immer, oder? Du wolltest dich vermutlich lieber verkriechen …?

Susanne: Gewollt habe ich es schon, aber die Therapiezeit ist eine lange Zeit und irgendwann spielen Körper und Psy­che verrückt. Und irgendwann sagt dir der Kopf: „Es ist alles so anstrengend!“ Und dann kommt alles ins Wackeln. Dann brauchst du jemanden, der sagt: „Wir müssen“! So haben wir das auch viele Monate durchgezogen. Andreas war wirklich von Beginn an mein Mentor und ich glaube, wenn ich ihn nicht an meiner Seite gehabt hätte, hätte ich vieles ganz anders oder gar nicht gemacht, und dann wäre das End­ergebnis jetzt auch ein anderes. Davon bin ich überzeugt.

Andreas: Die Susi ist ein sehr sport­licher Mensch, sie hat vorher wirklich viel Sport betrieben. Wenn das alles plötzlich nicht mehr geht, ist es ganz schwer – wenn man etwas will und man kann einfach nicht. Da verstehe ich total, dass sie sagt: „Ich mag nicht mehr, ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr.“ Aber genau dann war es wichtig, dass jemand oder mehrere da sind, die sagen, dass man einfach wieder „step by step“ anfangen muss, auch wenn es nur 100 Meter sind, die man draußen spazieren geht – wir haben es probiert und es hat geholfen. Weil alles, was man macht, hilft. Die Susi hat das wirklich gut gemacht, und wenn es irgendwie gegangen ist, war sie sofort wieder draußen.

Susanne: Man darf auch nicht ver­gessen, dass dich so eine Chemotherapie auf einen Schlag von 100 auf 1 Prozent schlägt – das kann man sich nicht vor­ stellen. Das ist für den Körper und den Kopf ein Wahnsinn, es überhaupt zu verstehen, warum man jetzt von dort nach dort zum Beispiel plötzlich nicht mehr gehen kann. Es ist ein Prozess, mit dem man lernen muss umzugehen. Aber ich glaube, wenn man das heraußen hat, geht alles – langsamer, aber es geht.

„Die Diagnose reißt dich aus dem Leben, du stehst vor einer Wand. Das musste ich verarbeiten“, so Andreas Prommegger. © Maisblau

Wie viele Chemos hast du hinter dir?

Susanne: 32 Chemotherapien, das ist hart. Die letzte war Mitte Juni. 

Du machst auch wieder Sport, ihr könnt das wieder zusammen machen – was macht ihr zum Beispiel?

Andreas: Eigentlich alles. Radfahren ist unsere gemeinsame Leidenschaft, das machen wir sehr gerne. Ich bin auch draufgekommen, dass es für mich gut ist, mit meiner Frau Rad zu fahren, weil dann bin ich in einem bisschen niedrige­ren Pulsbereich und kann mehr Grund­lage fahren und die intensiveren Einhei­ten kann ich dann alleine machen. Es geht ja auch um die Zeit, in der man was gemeinsam machen kann. Wir gehen auch mit unseren Kindern Rad fahren oder klettern – alles eigent­lich, was man in der Natur machen kann.

Susanne, kann man sagen, du hast das Leben für dich neu entdeckt?

Susanne: Ja. Man muss aufpassen, dass man nicht in alte Muster fällt. Und ich genieße jeden Tag jetzt anders als früher, mit mehr Dankbarkeit.

Ist die Krankheit noch ein Thema bei euch, das oft besprochen wird?

Susanne: Nicht mehr jeden Tag glaub ich. Sie ist nicht mehr so präsent, weil man ja auch schon wieder ganz anders ausschaut. Ich glaube, bei den Kindern ist es noch mehr präsent. Ich versuche, sie oft daran zu erinnern, was wirklich wichtig ist und was wirk­lich zählt. Man merkt, dass sie daran auch wachsen.

Ihr habt die Kinder in alles eingebunden, sie waren von Anfang an in den Krankheitsverlauf involviert – sind die Kinder dadurch ernster geworden?

Andreas: In gewissen Maßen schon. Die Laura ist in einem Alter, in dem sie das wirklich erlebt hat. Sie hat mitbe­kommen, worum es geht. Beim Lukas haben wir immer gesagt, der ist zu klein, um das alles wirklich mitzubekommen, aber jetzt im Nachhinein sind wir drauf­gekommen, dass er es schon bewusster erlebt hat, als wir dachten. Bei unserer Tochter haben wir gemerkt, dass sie so ein bisschen in sich zurückgezogen und wei­nerlich war – deshalb haben wir den Weg gewählt, dass wir mit unseren Kindern über alles offen reden und haben es auch mit anderen intensiv besprochen. Uns war es sehr wichtig, dass die Kinder wissen, worum es geht, was es für Möglichkeiten gibt und was passieren könnte. Aber auch, dass wir mit aller Kraft versuchen, dass wir das gemeinsam gut vorüberbringen und dass sie ein Teil davon sind und wir das gemeinsam schaffen werden.

Wie geht es dir heute, Susanne?

Susanne: Ich bin sozusagen aus­therapiert und habe alles gemacht: 25 Bestrahlungen, 32 Chemos, eine beidsei­tige Mastektomie, Antikörpertherapien. Jetzt ist es vorbei, ich habe zwei Im­plantate und einen neuen, wunderschö­nen Busen. Jetzt kommt nur noch die Nachsorge. Wir haben es geschafft.

ZUSAMMENHALT. Eine starke, glückliche Familie: Susanne und Andreas Pommegger mit den Kindern Laura, 11, und Lukas, 8. „Wir sind an dieser Lebenskrise gewachsen“, sagen sie heute. © Maisblau

Beitragsbild: © Maisblau