Habe ich einen Knacks in der Rolle?

Verrate Ihnen jetzt eine kleine bis mittlere Peinlichkeit. In meinem Büro, auf dem Schreibtisch, rechts neben dem Bildschirm und gut einsehbar für alle, die das Zimmer betreten, steht eine Klorolle.


Achtung, es wird gleich noch schlimmer! Die Klorolle ist mit rosa Krepp-Papier beklebt, hat einen Styropor-Kopf und gelbe Wollhaare.

Höchste Warnstufe, jetzt kommt’s:

Die Klorolle sei ich, sagt mein kleiner Enkelzwerg. Gleich links neben dem Bildschirm, gut einsehbar für alle, die das Zimmer betreten, steht noch eine Klorolle. Die ist ein Schwein.

Der Unterschied zwischen mir und dem Schwein ist für Außenstehende schwer erkennbar, nur ich sehe die feine Handschrift dahinter. Wie alle Großmütter bzw. Momis oder Nonnis oder Unis (Uni bin ich, wenn ich gerade keine Klorolle bin), verstehe ich null Spaß, wenn es um die Begabungen des Nachwuchses geht. Der Enkelzwerg hat die Klorollen ganz alleine gebastelt, also fast, und das in seinem Alter! Danke, dass Sie applaudieren und das äußerst bemerkenswert ­finden.

Komischerweise werden die Klorollen von Menschen, die mein Büro betreten,­auffallend­ ignoriert.­ Noch ­keiner­ hat bisher gesagt: „Gott, wie toll! Ein Klorollen-Männchen! Das muss ich ­sofort­ für ­Social­ Media­filmen, ­um ­meine­ Follower hochzutreiben! Wahahahnsinn, was du da auf deinem Schreibtischstehen hast!“ Keiner. Hat. Bis. Jetzt. Sowas. Ähnliches. Gesagt.

Das bringt mich auf die Idee, hier einmal den richigen Umgang mit Menschen zu erklären, die auf ihrem Schreibtisch Klorollen-Männchen haben. Also: Diese stümperhaft zusammengeklebten Dinger einfach zu ignorieren, IST NICHT NETT.


Sagen Sie doch zu dem Menschen mit dem Klorollen-Männchen ein
paar aufmunternde Worte (Glauben Sie mir, er braucht das!). Sagen Sie: „Oh, was haben wir denn da Geniales? Ist das etwa … echt? Ist das ein echtes Klorollen-Männchen? Und hat das dein Enkelkind gemacht? Wahnsinn, so begabt!“

Die Lobes-Skala nach oben hin ist scheunentorweit ­offen, ­nur ­zu!­Falls­ Sie­ in der Aufregung nicht genau wissen, ob für den genialen Output eines meiner Kinder oder eines meiner Enkelkinder zuständig war, man kommt da ja leicht durcheinander – wurscht! Meine Kinder sind zwischen 17 und Mitte dreißig und dem Klorollen-Klebealter knapp entwachsen, aber ich nehm’s trotzdem als Kompliment, das ich umgehend weiterleite.

Hauptsache, Sie sagen nicht einfach NICHTS. Der Mensch mit der Klorolle (und der könnte eventuell ich sein) glaubt sonst, Sie spotten heimlich über ihn. Er denkt, Sie schütten sich aus vor Häme, sobald das lächerliche Zeug auf dem Tisch außer Sichtweite ist („Pruhahaha, hast du gesehen, was die auf ihrem Schreibtisch hat? Die ist ja nicht mehr dicht! Klorollen-Männchen! Wahrscheinlich müssen wir sie einweisen lassen, ich glaub fast, die bastelt das selber … hm, schlimm, wenn vielversprechende Karrieren so tragisch enden, kennt man ja, die Leute können mit dem eigenen Erfolg nicht umgehen und zerstören sich selbst …“)

Also. Ich persönlich finde ja, dass meine Klorollen cool aussehen und niemals käme ich auf die Idee, sie in die Lade mit den zirka 84 anderen zu legen. Weil diese nämlich nicht mehr zugeht.

Außerdem kontrolliert das Kind regelmäßig die Präsenz seiner Rollen, indem es mich via Facetime anruft und lauernde Fragen stellt: „Uni, wo ist das Schwein?“ Hier, natürlich! „Und der Hamster?“ Da, natürlich.


Das Kind ist übrigens entsetzlich kreativ. Gestern hat es angerufen und ein neues Kunstwerk angekündigt. Ein Klorollen-Gnu. Soll besonders hübsch sein. Ich darf es mir auf den Laptop kleben, sagt das Kind, aber so, dass es bitte jeder sieht.

Freue mich schon, glauben Sie mir. Aber bitte! Sagen Sie doch endlich einmal was, wenn Sie in mein Zimmer kommen!

Herzlich, Ihre