Die Abnehm-Revolution

In seinem neuen Buch „Schlank auf Rezept“ macht Dr. Siegfried Meryn Abnehmwilligen Hoffnung. Dank der neuen Abnehmspritze soll das Wunsch-Gewicht endlich erreicht werden können: schnellere Sättigung, kein Heißhunger. Das Interview.


Abnehmen, gesünder leben: gerade Anfang des Jahres sind das gern gewählte Vorsätze – mit der Hoffnung, den kommenden Frühling und Sommer schlank genießen zu können. Ja, wenn das nur so leicht wäre … der Wille ist da, aber der Weg ist steinig. Heißhungerattacken, ein mit zunehmendem Alter verlangsamter Stoffwechsel, wenig Lust auf Bewegung – das alles boykottiert die Abnehmwilligen, bis sie demotiviert und entnervt aufgeben. Und bei jenen Glücklichen, die dank einer Diät Kilos reduziert haben, stellt sich – ruckzuck – der Jo-Jo-Effekt ein und sie bringen schon wenige Wochen nach Diätende mehr Kilos als zuvor auf die Waage. Warum nachhaltiges Abnehmen gar nicht so einfach ist und wie das Gewicht tatsächlich auf Dauer reduziert werden kann, erklärt Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn in seinem neuen Buch „Schlank auf Rezept“. Der Mediziner, der einst selbst unter massivem Übergewicht litt – „Ich war der kleine dicke Freddy“ – präsentiert neueste Erkenntnisse der Abnehmmedizin. Und Meryn erklärt, warum die gehypte Abnehmspritze tatsächlich eine medizinische Revolution darstellt. Das Interview.

look!: Die Abnehmspritze wird als Wundermittel gehypt. Wer Gewicht verlieren will, spritzt sich einmal pro Woche seine Dosis und nimmt dann rasch ab, bis das Wunschgewicht erreicht ist …

Siegfried Meryn: Da bedarf es nicht nur der Abnehmspritze. Wer nachhaltig abnehmen will, muss auch seinen Lebensstil ändern. Um das zu verdeutlichen, habe ich die sogenannte Kleeblattmethode entwickelt. Die vier Kleeblätter sind: Ernährung umstellen – Steigerung der körperlichen Aktivität – Abnehmspritze – und eventuelle psychologische Betreuung.

Wie funktioniert die Kleeblattmethode im Detail?

Beim Essen muss man nicht auf Gutes verzichten, man isst nicht schlechter, aber anders. Es ist nicht nur wichtig, Kalorien zu reduzieren, sondern das Augenmerk liegt auch auf der Zusammensetzung. Jeder Mensch braucht etwas anderes, ich schicke meine PatientInnen daher zu einer Diätologin, die auf Übergewicht spezialisiert ist. Wenn es lang eingeschliffene Verhaltensmuster beim Essen gibt, etwa wenn jemand von Kindheit an gewöhnt ist, dass Süßes Belohnung bedeutet und Wohlgefühl, ist manchmal eine psychologische Betreuung sinnvoll. Ich arbeite mit einer klinischen Psychologin zusammen, die auf Essstörungen spezialisiert ist. Gleichzeitig muss die körperliche Aktivität gesteigert werden.

Neben Ausdauertraining ist auch Krafttraining wichtig, um Muskeln aufzubauen. Denn wenn man beim Abnehmen Muskelmasse verliert, fällt die Gewichtsreduktion noch schwerer, da Muskeln bei der Fettverbrennung beteiligt sind. Zusätzlich gibt es dann die Abnehmspritze, die sich PatientInnen daheim wöchentlich selbst verabreichen.

Was bewirkt die Abnehmspritze, wenn man ohnehin die Ernährung umstellt und mehr Bewegung macht?

Dieses Medikament nimmt den Heißhunger, den Appetit, vermittelt Sättigung, es spricht das Suchtzentrum im Gehirn an. – Es gibt die sogenannte Darm-Hirn-Achse: Im Dünndarm werden beim Essen Substanzen produziert, die u. a. im Sättigungszentrum im Gehirn andocken. Das bedeutet: Wir haben keinen Appetit mehr, wir sind satt. Die Wirkung hält aber nur zwei, drei Minuten … Genialen Forschern ist es gelungen, jene Substanzen, die im Dünndarm produziert werden, nachzubauen – mit einer Wirkung von sieben Tagen. Das bedeutet eben, dass die Abnehmspritze einmal wöchentlich nötig ist, um Heißhunger zu verhindern, ein Sättigungsgefühl zu vermitteln und den Appetit zu verringern. Ursprünglich handelt es sich dabei um ein Medikament für Diabetiker. Als Begleiterscheinung wurde festgestellt, dass die PatientInnen rasch abnahmen. Dort setzte die Forschung an.

Ohne Heißhungerattacken und ohne ständigen Appetit fällt das Abnehmen leichter …

Genau. Man hält durch! Das ist die Revolution. Nicht ohne Grund wird die Abnehmspritze in den renommiertesten Fachmagazinen der Welt als medizinischer Durchbruch der Jahre 2022/23 bezeichnet – davor war es der Corona-Impfstoff. Die Abnehmspritze ist eine Wissenschaftssensation, sie verändert die Welt im Hinblick auf Übergewicht. Dieses Medikament nimmt aber nicht nur den Heißhunger, es hat viele weitere positive Effekte. Erst jüngst wurde durch wissenschaftliche Studien belegt, dass sich durch die Spritze u. a. das Herzinfarkt- und das Schlaganfall-Risiko um mehr als 20 Prozent verringern.

Für wen ist die Abnehmspritze nicht geeignet?

Kontraindikationen sind Schilddrüsenkrebs und Bauchspeicheldrüsen-Entzündungen in der Vorgeschichte.

Gibt es auch bei der Gewichtsreduktion mit Abnehmspritze den unliebsamen Jo-Jo-Effekt?

Ja, denn jeder Mensch hat einen sogenannten Set Point. Unser Körper sagt, ich bin mit dem Gewicht, das du hast, völlig zufrieden – dass du abnehmen möchtest, interessiert mich wenig. Denn aus der Evolution kommend bedeutet das Gewicht Schutz, Reserve, Energie. Der Wermutstropfen ist, dass es 18 bis 24 Monate dauert, bis unser Körper das neue Gewicht als neuen Set Point akzeptiert. Man muss das erreichte Wunschgewicht so lange halten, sonst geht es kilomäßig wieder rasant bergauf zum Ausgangsgewicht. Kurze Diäten sind daher kontraproduktiv.

Die Abnehmspritze verhindert Heißhungerattacken und vermittelt Sättigung. Das erleichtert das Abnehmen.

GOOD NEWS. „Rund 15 Prozent des Körpergewichtes können mit Unterstützung der Abnehmspritze in einem Jahr abgenommen werden“, so Professor Meryn.

Ist man nicht einfach willensschwach, wenn man es nicht ohne Abnehmspritze schafft, Gewicht zu reduzieren?

Nein. Übergewicht muss als Krankheit klassifiziert werden. Adipositas, also Fettleibigkeit, ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO eine chronische multifaktorielle Krankheit, die hohe gesundheitliche Risiken wie Herz-Kreislauf-Probleme mit sich bringt. Übergewichtige Menschen, die es nicht schaffen, abzunehmen, sind nicht willensschwach, sie können kaum abnehmen, weil es bei ihnen Veränderungen im Suchtzentrum im Gehirn gibt.

Dennoch sagen viele Ärzte: Essen Sie einfach weniger.

Ich habe Hunderte PatientInnen mit dem Abnehmthema. Rund 70 Prozent haben bereits mehrfach versucht, ihr Gewicht zu reduzieren, bevor sie zu mir kamen. Viele erzählen mir, dass ihnen Ärzte den Rat gaben „weniger essen, dann geht das schon“. Aber so funktioniert das nicht. Die Abnehmmedizin ist eine eigene Sparte der Medizin, die wissenschaftlich fundiert ist. Gute moderne Medizin ist generell individuell. Jeder von uns braucht einen anderen Zugang. „One size fits all“ gibt es nicht, auch nicht beim Abnehmen.

Wie ist das Prozedere bei Ihren Abnehm-PatientInnen?

Es gibt ein ausführliches Gespräch und es bedarf einer Blutuntersuchung, um den Status quo festzustellen. Ich schicke die PatientInnen zur Diätologin, die mit ihnen eine auf sie zugeschnittene Ernährungsumstellung erarbeitet. Das Essen muss ja schmecken! Auch die Bewegung muss individuell abgestimmt werden: Wie funktioniert das Herz-Kreislauf-System? Wie viel Kraft- bzw. Ausdauertraining braucht der Patient? Außerdem muss besprochen werden, ob eine psychologische Unterstützung sinnvoll ist. Nach vier bzw. acht Wochen der Anwendung der Abnehmspritze sind Kontrollen geplant: Wie geht es dem jeweiligen Patienten, wie schauen die Blutwerte aus, wie viel wurde abgenommen. Dann werden Ziele gesetzt: Wo will ich nach drei Monaten, nach sechs Monaten sein?

Die Kosten für die Abnehmspritze liegen monatlich bei rund 300 Euro. Zahlen die Gesundheitskassen?

Die Kassen zahlen das Medikament für Diabetiker, aber nicht für Übergewichtige. Das wird sich ändern müssen. Ich habe etwa Patienten, die massiv übergewichtig sind und ein bzw. zwei Herzinfarkte hatten. Sie brauchen das Medikament genauso wie Diabetiker.

Stimmt es, dass das Problem Übergewicht stetig steigt?

Wir sind zum fetten Planeten geworden. In Amerika ist fast die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig. Auch die Österreicher sind übergewichtig wie noch nie. Das Körpergewicht bei den Burschen bei der Stellung (zum Bundesheerdienst) war noch nie so hoch. Da ist politisches Handeln gefragt. Denn Übergewichtige haben u. a. eine höhere Rate an Krebserkrankungen wie Brustkrebs, Prostata-, Dickdarm- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Wir sprechen also nicht von einem ästhetischen Problem. Übergewicht ist das Thema des 21. Jahrhunderts, im 20. Jahrhundert war es das Rauchen.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie auch über Ihre eigene Erfahrung mit Übergewicht. Sie waren ein dickes Kind, wurden gehänselt.

Ja, ich war ein Nachkriegskind, wurde gut gefüttert, mit Süßem verwöhnt und musste immer aufessen. Mit 17 habe ich dann eine völlig verrückte Diät gemacht: Ich habe jeden Tag nur eine Mahlzeit gegessen. Einmal Frühstück, einmal Mittagessen, einmal Abendessen. Und dann wieder von vorn. – Ich bin noch immer extrem darauf bedacht, nicht zuzunehmen. Damit ziehen mich meine Kinder heute auf.

Wären Sie heute übergewichtig – würden Sie die Abnehmspritze verwenden?

Ja! Ich habe mir die Abnehmspritze übrigens drei Monate lang gegeben, um sie auszuprobieren. Sie wirkt.

TOP-INFOS.

Neueste Erkenntnisse zum Thema Abnehmen: „Schlank auf Rezept“ von Siegfried Meryn und Bianca-Karla Itariu. (edition a, € 26,-).

Beitragsbilder: © Bubu Dujmic