Extreme Schmerzen während der Menstruation sind doch die Regel, oder? Eben nicht! Häufig verbirgt sich hinter starken Regelbeschwerden die Diagnose Endometriose. Eine chronische Erkrankung mit weltweit mehr als 200 Millionen Betroffenen; dennoch gibt es kaum Aufklärung. „nicht die regel“ heißt der erste deutschsprachige Dokumentarfilm über Endometriose. Wir trafen Ranya Schauenstein, Regisseurin & Initiatorin des Films, zum Interview.
Offen über Endometriose sprechen
Während bei einigen Glücklichen die Periode fast unbemerkbar monatlich anklopft, kämpfen andere mit extremen Schmerzen, seelischer Belastung und dem Kampf damit ernst genommen zu werden. Die Menstruation, auch Regel, Periode, Tage oder auch monatliche Blutung genannt, ist auch heutzutage noch ein Tabuthema, obwohl sie fast alle Frauen jahrzehntelang monatlich haben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass man kaum etwas über eine doch sehr weitverbreitete chronische Krankheit weiß: Endometriose. Nicht nur in der Gesellschaft herrscht Unwissenheit, auch unter vielen ÄrztInnen. Um Bewusstsein für die chronische Erkrankung zu schaffen und um aufzuklären, machten Ranya Schauenstein und ihr Team den Film „nicht die regel“. Der Dokumentarfilm handelt von drei Frauen, die über ihr Leben mit Endometriose erzählen. Sie berichten von ihren Beschwerden, Diagnose-Wegen, Therapien und Operationen. Zudem geht der Film auf die fünf am weitesten verbreiteten Mythen ein und lässt ExpertInnen aus verschiedenen relevanten Fachbereichen zu Wort kommen.
Ranya Schauenstein arbeitet seit mehreren Jahren in der Film- und Medienbranche unter anderem als Videoredakteurin bei vielgesundheit.at. Mit ihrem Dokumentarfilm „nicht die regel“ feiert sie ihr Debüt als Regisseurin. Sie ist Mutter von zwei Kindern und seit einigen Jahren selbst von der chronischen Krankheit betroffen. Wir haben uns mit Ranya zum Skype-Interview getroffen und mit ihr ein spannendes Gespräch geführt.
Im Schnitt dauert es sieben bis neun Jahre, bis eine Frau ihre Diagnose erhält! Ursache dafür ist, dass das Schmerzempfinden der Frau häufig nicht ernst genommen und als „die Regel“ abgetan wird. © nicht die regel, 2021
Endometriose: Ursache und Symptome
Bei der Endometriose handelt es sich um gutartige, meist schmerzhafte Wucherungen von Gewebe der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium), das sich außerhalb der Gebärmutter in benachbarten Organen ansiedelt. Dabei sind häufig der untere Bauch- oder Beckenraum, die Eierstöcke und Eileiter und die tieferen Wandschichten der Gebärmutter betroffen. Prinzipiell kann das Endometrium aber an jeder Stelle im Körper wachsen.
Diese Endometrioseherde wachsen während des Monatszyklus parallel zur Gebärmutterschleimhaut: Sie schwellen an, bluten und schwellen wieder ab. Das Blut, das nicht abfließen kann, bildet Zysten. Damit verbunden sind starke Blutungen, krampfartige Schmerzen sowie oft chronische Bauch- und Rückenschmerzen, die bis zur Ohnmacht führen können.
Laut dem Verein „Endometriose Vereinigung Austria“ und dem Schwesterverein aus Deutschland erkrankt eine von zehn Frauen an Endometriose. Die Krankheit zählt weltweit zur zweithäufigsten gynäkologischen Erkrankung.
Initiatorin & Regisseurin Ranya Schauenstein mit Tabea Hablützel, Kamerafrau und Cutterin des Films. © nicht die regel, 2021
Die Bundesländerinnen: Liebe Ranya, vielen Dank für deine Zeit und dass du mit uns über deinen Dokumentarfilm „nicht die regel“ sprichst. Wie kam es zum Film?
Ranya Schauenstein: Nach der Geburt meines Sohnes, er war circa ein halbes Jahr alt, habe ich einen TV-Beitrag über Endometriose geschaut. Während des Beitrags wurde mir bewusst, wie selten über die Krankheit gesprochen wird und wie wenig die Gesellschaft darüber weiß. Ich konnte nach dem Beitrag nicht mehr ruhig sitzen und dachte mir, ich muss was ändern! Das war der ausschlaggebende Moment, in dem ich mich entschied, meinen ersten Film über Endometriose zu drehen.
Für mich hat dieses Thema auch einen sehr persönlichen Bezug, da ich selbst betroffen bin und 2015 meine gesicherte Diagnose erhalten habe. (Anmerkung: Endometriose ist durch spezielle Untersuchungen und Ultraschallgeräte erkennbar. Für eine gesicherte Diagnose ist eine Operation notwendig. Deshalb wird Endometriose unter ÄrztInnen auch häufig als das Chamäleon der Gynäkologie bezeichnet).
Gesagt, getan – aus der Idee, einen Film zu drehen, wurde schnell Realität. Wie ging es dann weiter?
Nach dem Beitrag war es für mich klar, ich mach einen Film. Kurz darauf habe ich auch schon gemeinsam mit einer Freundin Dina Tasic, sie ist Art Director des Films, einen Aufruf auf Facebook gestartet, um Interessierte zu finden. Es hat nicht lange gedauert und ich hatte mein Team und auch drei Protagonistinnen, die vor der Kamera gerne ihre Geschichte erzählen wollten.
Um zu verdeutlichen, wie viele Personen von Endometriose betroffen sind, besteht unser gesamtes Team aus Frauen, die selbst an Endometriose leiden.
Endometriose wird auch als Chamäleon der Gynäkologie bezeichnet, da die Krankheit oft schwer erkennbar ist. Wie war das bei dir?
Ich hatte unter Anführungszeichen Glück, weil ich 2014 bei einer Routineuntersuchung von meiner damaligen Gynäkologin die Verdachtsdiagnose Endometriose erhalten habe. Ursache für diese Diagnose war, dass sie bei mir eine Schokoladenzyste während des Ultraschalls gesehen hat. Diese Zysten sieht man zum Glück sehr gut und bei mir war sie auch schon relativ groß. Nach dem Termin habe ich online nach Endometriose gesucht, weil ich davor ich noch nie etwas darüber gehört habe. Nach ein paar Informationen wurde mir schnell klar, dass alle Beschwerden, die ich davor hatte, genau auf das Krankheitsbild von Endometriose passen.
Meine Ärztin hat mir damals geraten, mich ziemlich bald operieren zu lassen. Während dieser OP hat der operierende Arzt viele weitere Endometriose-Herden gefunden und entfernen können. Das heißt, dass es bei mir wirklich Glück war, dass meine damalige Ärztin die Zyste gefunden und mir diese Diagnose gestellt hat. Häufig wird die Endometriose aber einfach übersehen oder die Beschwerden falsch diagnostiziert.
Woran liegt das?
Das Problem ist, dass die Krankheit sehr schwer erkannt werden kann. Gründe dafür sind, dass häufig zahlreiche, meist zusammenhanglos wirkende Symptome auftreten – von Unterleibskrämpfen und Migräne, über Magen-Darm-Beschwerden bis hin zu Beschwerden beim Sex. Deshalb wird die Krankheit auch als Chamäleon bezeichnet.
Zudem erkennen viele GynäkologInnen am Ultraschall die Endometriose nicht, wenn sie nicht speziell darauf geschult sind. So habe ich auch schon von einigen Betroffenen gehört, dass sie mit ihren Beschwerden und Schmerzen nicht ernst genommen werden. Dabei ist das Schmerzempfinden doch für jeden sehr individuell, sehr persönlich.
Wie sich die Endometriose äußert, kann von Frau zu Frau unterschiedlich sein. Daher ist es auch so schwer, die Krankheit zu erkennen. © nicht die regel, 2021
Was sind die Symptome von Endometriose?
Die Beschwerden, also die Symptome, können bei jedem unterschiedlich sein. Manche klagen über Symptome beim Wasserlassen oder beim Stuhlgang, manche haben Schmerzen beim Sex, andere bekommen extrem starke Rückenschmerzen oder Schmerzen, die bis hinunter in die Beine ziehen.
Endometriose muss aber nicht immer mit Schmerz zusammenhängen. Ich kenn auch eine Betroffene, die eine Verdachtsdiagnose bekommen hat, weil etwas am Ultraschall zu sehen war, aber sie selbst hatte kaum Symptome. Die Beschwerden sagen auch nichts über das Ausmaß der Krankheit aus. So kann es sein, dass jemand kaum etwas spürt, aber viele Zysten hat oder auch umgekehrt.
Im Film „nicht die regel“ räumt ihr mit fünf Mythen über Endometriose auf. Kannst du uns ein Beispiel nennen?
Eine der häufigsten Mythen ist, dass Menstruationsbeschwerden normal sind. Häufig hört man dann Sätze wie: „Ach, ist doch nicht so schlimm. Nimm eine Schmerztablette. Wird schon wieder, ich habe auch häufig Regelbeschwerden.“ Aber es gibt da einen Punkt, da sind diese Beschwerden nicht mehr „normal“ und es ist dann kein Ziehen, kein leichtes Stechen oder Pieken mehr – da geht es wirklich um krampfartige Schmerzen, bis hin zum Erbrechen und zur Ohnmacht. Das kann so weit gehen, dass die Beschwerden auch organisch werden.
Leider werden in unserer Gesellschaft Krankheiten, die mit der Menstruation zu tun haben, noch immer sehr ungern besprochen und gelten als Tabuthema.
Wie du gerade gesagt hast, wird auch heute noch das Thema Menstruation tabuisiert. Dabei ist Aufklärung gerade in jungen Jahren wichtig. War das mitunter ein Grund, diesen Film zu drehen?
Gerade bei jungen Mädchen, die zum ersten Mal ihre Menstruation bekommen haben, ist das Thema oft mit Scham verbunden. Wenn ich mich da nicht einmal traue, das Tampon sichtbar zum Schüler-WC zu tragen, wie soll ich dann offen meinen Freundinnen, der Schulärztin oder sogar der Frauenärztin sagen, dass ich gerade so starke Beschwerden habe, dass ich eigentlich nur nach Hause möchte. Dazu kommt natürlich auch immer das Problem, dass selbst unter Frauen Regelbeschwerden oft verharmlost und abgetan werden.
Deswegen ist Aufklärung auch so wichtig, damit die Gesellschaft weiß, dass extreme Regelbeschwerden eben nicht normal sind und sich jede Frau in einem sicheren und wertgeschätzten Rahmen die entsprechende Hilfe suchen kann.
Der Film „nicht die regel“ erregte seit seiner Premiere viel Aufmerksamkeit. Man könnte sagen, dass der Stein ins Rollen gebracht wurde. Wie geht es nun weiter?
Für uns, das Filmteam, war es sehr wichtig, dass nach der Veröffentlichung des Films die Aufklärung weitergeht. Deshalb haben wir den Verein „nicht die regel – mehr Bewusstsein für Endometriose“ gegründet. Über diesen Verein machen wir den Vertrieb für den Dokumentarfilm und wollen auch weitere aufklärende und bewusstseinsbildende Projekte starten. Mein Wunsch wäre es auch, dass wir unseren Film an Schulen und Bildungseinrichtungen zeigen dürfen und mit dem Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten können, sodass der Film von möglichst vielen Menschen angeschaut wird und Aufklärung stattfindet.
Der Film ist auf Vimeo on Demand zu sehen und kostet 14,90. Das Team möchte mit den Einnahmen die Aufklärungsarbeit weiter voranbringen.
Mehr Infos zum Film und zum Verein sowie über Endometriose erfährst du hier: www.nicht-die-regel.at
Beitragsbild: © nicht die regel, 2021 / beigestellt