Für Menschen wie mich wurden Monate wie März und April erfunden, da bin ich mir ganz sicher. Menschen wie ich kommen an einem unspektakulären Märztag mit Nieselregen und sechs Grad plus zum Beispiel an einem Sportartikelladen vorbei. Geschäfte mit sportlichen Geräten sind Menschen wie mir egal, außer im März. Da bilden sich diese Menschen, also auch ich, allen Ernstes ein, schnell frühlingsfit werden zu wollen.
Frühlingsfit klingt gut, finde ich. Alleine das Wort macht Lust auf … na ja, Fitness im weitesten Sinne. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich: beschwingt beim Hanteltraining, gut gelaunt beim Laufen in farbenfrohen Leggings und mit frischen Sneakers. Lässig auf dem E-Bike, bergauf eine Gruppe älterer Herren in Rad-Uniform überholend. Dabei ein Liedchen auf den Lippen. Ich bin so was von frühlingsfit! Oder besser: So was von bereit, frühlingsfit zu werden.
Also nichts wie hinein in diesen einladenden Laden. Was es da alles gibt! Vor allem an den Lauf-Klamotten finden Menschen wie ich großen Gefallen. Orange, Gelb und Türkis sind jetzt die Modefarben beim Laufen. Ist nicht unwesentlich, um beim Training Erfolg zu haben, die Optik spielt doch immer eine entscheidende Rolle. Also bei mir. Ich bin motivierter, wenn ich statt in Schwarz in Gelb und Türkis laufe. Nennen Sie mich gerne oberflächlich, beim Laufen bin ich bekennend oberflächlich. Ich sehe mich in Gelb, Türkis und nagelneuen Air-Balance-Abhebe-Schuhen die Küste Kaliforniens entlangschweben. Leicht gebräunt, mit wehendem Haar. Rundherum knackig anzusehen.
Jede Zelle meines Körpers ist glücklich, jede Zelle ist voll gut drauf. Das denkt sich auch Brad Pitt – oder ist es Leo DiCaprio? Einer der beiden kommt mir gerade entgegengelaufen, blickt wohlgefällig auf mein Türkis und Gelb, hebt die Hand zum Gruße, wir sollten uns mal treffen, hey, I’m Uschi from Austria, let’s run together soon!
Plumps. Menschen wie ich werden in die Realität zurückgeholt durch das Organ des Personals vor meiner Umkleidekabine: „Naaaa, paaasst’s eh?“ Das grünliche Neonlicht der Kabine taucht meine Haut in beklemmendes Madenweiß. Die Knacke-Leggings sind verdammt eng, dass man da hineingepasst hat, ist verdammt lang her.
Ein Mensch wie ich sieht das aber positiv und freut sich, dass weder Brad noch Leo in der Nähe sind, um das entwürdigende Schauspiel zu bestaunen: Frau im Zweikampf mit um zwei Nummern zu kleinen Leggings (in die Größe hab ich doch IMMER hineingepasst), die flauschige Hinternmasse, die sich über den Gummirand schiebt, entschlossen in den Hosenbund stopfend. Den Anblick möchte man sich eigentlich auch vor sich selbst ersparen, aber jetzt heißt es stark sein und dem Personal kontern: „Bisschen eng, aber wird schon gehen!“ Wenn man beim Laufen eine Beatmungsmaske mit Luftzufuhr-Schläuchen aufsetzt, geht’s wahrscheinlich wirklich. Und Jennifer Lopez hat mit einem breiten Arsch immerhin eine WM eröffnet. So what?
Zum Äußersten entschlossen verlasse ich mit meinen neuen Lauf-Klamotten den farbenfrohen Tempel: Diät! Jetzt! Kinder, ab sofort wird bei uns urgesund gegessen, Gemüse und so. Heute gibt’s zum Beispiel Sellerie-Süppchen und Karfiol.
Irgendjemand rumort in der Küche und macht sich ein Salamibrot. Sobald derjenige aus der Küche ist, mache ich mir auch eines. Muss aber schnell gehen. Breche einen Brocken vom Weißbrot ab, dazu Salami aus dem Papier, eine Köstlichkeit! Ein Kind kommt rein, grinst: „Hab gedacht, du isst nur mehr Gemüse?“ Bist du der neue Diät-Wärter oder was? Das Kind trollt sich. Mache mir ein weiteres Salamibrot, mit Gurke. Irgendwas löst in mir einen unmäßigen Kohlenhydrat-Appetit aus. Bald werde ich rund sein wie ein Gummiball und in XXL-Leggings pompompom die Treppe runterhüpfen. Also besser, ich gehe laufen. Sofort. Oder morgen. Oder am Sonntag, da wird das Wetter besser. Und wenn nicht, dann nächsten Sonntag. Frühling ist ja auch noch im Mai, bis Mitte Juni mindestens. Spätestens zu Beginn der großen Ferien bin ich frühlingsfit. Und ultraschlank. Und falls ich die Treppe runterfalle, zerbreche ich vor Dünnheit in tausend Teile. Sind zu viele Kohlenhydrate und zu enge Leggings eigentlich schlecht fürs Gehirn?
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Beitragsbild © Andreas Hofmarcher