Schon mit 15 Jahren wurde Nareh als jüngste Klavierstudentin an die Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst aufgenommen. Nun ist sie am Sprung zum Weltstar: „Ich versuche, all meine Lebenserfahrung in die Musik, in die Art, wie ich spiele, einfließen zu lassen.“ Auf dem Foto trägt Nareh ein Couture-Kleid aus silbernen Pailletten von Designer Niko Niko.

Von Armenien nach Wien und auf die großen Bühnen dieser Welt: Die junge Künstlerin Nareh Arghamanyan begeistert Musikkritiker:innen aller Länder und setzt sich als Bösendorfer Artist für die neue MusikerInnen-Generation ein.

look!: Liebe Nareh, ich freue mich sehr, dass wir uns hier im prachtvollen Bösendorfer Salon treffen und du uns einen Einblick in deine Arbeit und dein Leben gibst. Du stammst aus. Armenien und bist schon mit sechs Jahren als Wunderkind gefeiert worden. Wie hat sich das ausgewirkt?

Nareh Arghamanyan: Meine erste Begegnung mit einem Klavier war eigentlich sehr dramatisch. Wir hatten im Dezember 1988 ein großes Erdbeben in Armenien. Ich wurde einen Monat nach diesem Erdbeben geboren und wir hatten zu Hause ein paar Jahre keine Elektrizität und kein Wasser. Den Alltag zu bewältigen, war für meine Eltern wirklich sehr, sehr schwer. Und eines Tages, meine Mutter war schwanger mit meinem Bruder und ich war dreieinhalb, meinte sie, es sei schwer für sie, mich kleines Mädchen immer von der Straße reinzuholen. Ich spielte, wie alle Kinder in der Umgebung, am liebsten draußen. „Wenn du draußen im Dunkeln spielst“, sagte meine Mutter, „finde ich dich nicht mehr!“ Und dann hat sie mir ein Klavier gezeigt: „Schau, das ist auch ein Spielzeug. Du kannst auch mit diesem Spielzeug spielen, du drückst eine Taste und es klingt.“ Und das war für mich DIE Entdeckung! Ich war sofort besessen von diesen Klängen. Sie waren für mich das Tor zu einer anderen Welt. So hat es begonnen und dann ging es immer weiter … (lacht)

Waren deine Eltern also auch schon musikalisch?

Nein, gar nicht! Mein Vater hat durch dieses schreckliche Erdbeben fast seine ganze Familie verloren, Musik war nie ein Thema, obwohl meine Mutter etwas Klavier spielen konnte. Als ich angefangen habe, zu spielen, mochte mein Vater das nicht besonders. Ich übte bei Kerzenlicht, ich kann mich noch gut erinnern, es gab einmal eine Kerze im Haus, die ging dann irgendwann aus. Meine Mutter erzählt bis heute, sie entdeckte mich in der Dunkelheit vor dem Klavier, mit zehn Fingern irgendwelche Harmonien übend (lacht). Ich war wirklich besessen, habe alles intuitiv gemacht. Mit fünf Jahren wurde ich in der Musikschule vorstellig, man sagte uns, ich sei zu jung. Auf dem Weg zurück nach Hause habe ich meine Mutter gefragt, ob sie mir Noten beibringen kann. Das hat sie dann auch gemacht. Und dann habe ich angefangen, jeden Tag sieben Stunden zu spielen, ohne dass mich jemand gezwungen hätte. Das war für mich der größte Spaß.

Mit 15 Jahren wurdest du als jüngste Klavierstudentin an der Universität für Musik und darstellende Kunst aufgenommen. Wie war das für dich, so jung in einer fremden Stadt zu sein?

Ich wollte unbedingt nach Wien, weil mir eine sehr bekannte Pianistin empfohlen hat, hier mein Studium fortzusetzen. Also habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht und auch bestanden. Nachdem ich bei der Aufnahmeprüfung die höchste Punktzahl bekommen hatte, wurde ich als ordentliche Studentin akzeptiert (lacht).

© Andreas Hofmarcher

„Musik ist die Art, wie ich mich ausdrücke, wie ich meine Gefühle zeige. Wann immer ich auftrete, versuche ich, mit der Musik zu sprechen.“ 

– Nareh Arghamanyan 

Hören Sie rein!

Mittlerweile hast du sieben Alben veröffentlicht, du gibst auf der ganzen Welt Konzerte, du komponierst. Kann man sagen, dein Leben ist Musik?

Unbedingt! (lacht). Ich liebe es, Aufnahmen zu machen, das ist eine ganz andere Erfahrung, als Konzerte zu spielen. Bei den Aufnahmen ist man allein und es klatscht am Ende niemand. Da entsteht eine ganz andere Energie. Bei der Aufnahme hat man immer wieder die Möglichkeit, sich zu verbessern und zu perfektionieren, was auch sehr gefährlich ist, weil das zu großer Müdigkeit führen kann. Bei einem Konzert hat man nur eine einzige Chance, sich zu zeigen, und man muss sich sehr gut vorbereiten, damit man mit nur einem Mal allen zeigen kann, was man kann (lacht).

Wie bereitest du dich denn vor?

Wenn ich zum ersten Mal ein neues Repertoire auf einem Konzert spiele, dann bereite ich mich schon Monate vorher darauf vor.

Wie schaut dann deine Tagesroutine aus? Wie viele Stunden am Tag spielst du Klavier?

Zwei bis drei Stunden am Tag sind es immer. Aber ich muss ehrlich sagen, ich habe an manchen Tagen so viele Termine, Besprechungen und Proben, dass ich nur abends meine Zeit am Klavier verbringe. Ich mache immer wieder feste Arbeitsstunden für mich und fürs Klavier, diese Zeit gehört dann nur uns, da gibt es keine Telefonate und keine Ablenkung (lacht).

Also Klavier zu üben, ist für dich nie eine Belastung, sondern immer eine Freude?

Es war nie eine Belastung, es ist immer eine große Freude. Das versuche ich auch, meinen Student:innen weiterzugeben, dieses Gefühl, im Hier und Jetzt zu leben und Musik zu machen. Musik ist die Art, wie ich mich ausdrücke, wie ich meine Gefühle zeige, eine wunderbare Form der Kommunikation. 

A STAR IS BORN. Nareh (rechts im Couture-Kleid von Stardesigner Niko Niko) tritt auf den großen Bühnen der Welt auf, etwa im Wiener Musikverein, im New Yorker Lincoln Center oder in Luzern. © Andreas Hofmarcher

Internationale MusikkritikerInnen loben dich für deine Fähigkeit, mit deinem Klaviers piel Geschichten zu erzählen.Das heißt, du drückst auch deine eigenen Stimmungen aus, die du beim Spielen empfindest?

Ganz genau. Ich habe für jedes Stück eine gewisse Szene oder eine gewisse Vorstellung im Kopf und ich versuche, diese Bilder mit dem Klavier umzusetzen. Weißt du, Musiker:innen sind wie RegisseurInnen! Sie bestimmen, was in dem Film oder dem Stück passiert.

Was hörst du für Musik, wenn du nicht am Klavier spielst?

Ich höre jeden Abend klassische Musik und ich gehe auch mit klassischer Musik schlafen. Aber ich mag auch Jazz und Rockmusik.

Was sind deine Zukunftsvisionen? Wo siehst du dich denn in zehn Jahren?

Meine zweite Leidenschaft, neben dem Klavierspielen, ist es, zu unterrichten, und ich gebe auch jetzt schon viele Masterclasses. Ich möchte meine Erfahrungen unbedingt weitergeben. Derzeit arbeite ich auch am Konservatorium und in der Wiener Musikakademie als Lehrerin. Ich sehe mich als eine Pianistin der neuen Generation, die etwas Neues einbringen kann. 

Das Klavier ist ein geschlossener Kreislauf aller menschlicher Emotionen. – Nareh Arghamanyan über das Klavierspielen © Isabella Abel

Wodurch unterscheidet sich denn die neue Generation der Musiker:innen von der vergangenen?

Als Lehrerin ist es für mich sehr interessant, zu beobachten, wie sich das Verhalten der StudentInnen zu Musik und dem Klavierspiel verändert hat. Durch die technologische Entwicklung habe ich auch eine gewisse Tendenz bei MusikstudentInnen gesehen, dass diese nicht mehr ganz so zielstrebig sind, wie es die StudentInnen vor zehn Jahren waren. Ich sehe aber auch, dass die jungen Menschen in den asiatischen Ländern unglaublich diszipliniert und zielstrebig sind. Dort ist auch das junge Publikum unglaublich musikinteressiert. Hier in Europa ist das leider noch nicht der Fall und ich würde mir sehr wünschen, dass wir auch jüngere Leute dafür begeistern können, in Konzerte zu gehen.

Generell glaube ich übrigens, dass zum Erfolg nicht nur Talent, sondern auch Disziplin gehört. Talent alleine reicht nie aus. Wenn du 99 Prozent Talent und 1 Prozent Disziplin hast, wirst du nie erfolgreich werden. Umgekehrt vielleicht schon (lacht). 

© Isabella Abel

Wie begeistert man die Jugend für klassische Konzerte?

Man muss sie hinführen, man muss ein Portal öffnen, durch das sie gerne gehen, z. B. durch moderne Interpretationen von klassischer Musik, damit die jungen Menschen eine Ahnung bekommen, was klassische Musik bedeutet.

Du bist „Bösendorfer Artist“, was bedeutet das für dich?

Oh, ich fühle mich wirklich sehr geehrt und bin sehr glücklich, seit 2015 ein Bösendorfer Artist zu sein. Für mich war es schon immer ein Traum, ein Bösendorfer Instrument spielen zu dürfen, die Klaviere sind wirklich ein Luxus! Denn 50 Prozent hängen von unserer Arbeit ab und 50 Prozent tatsächlich vom Instrument (lacht).

SHE’S A LADY. Nareh beim Eingang zum Bösendorfer Salon, wo Musikinteressierte die Gelegenheit haben, einen Bösendorfer Flügel auszuprobieren. © Andreas Hofmarcher

DREAMTEAM. Sabine Grubmüller, Managing-Director Bösendorfer, mit Bösendorfer Artist Nareh Arghamanyan im Bösendorfer Salon im Musikverein. © Andreas Hofmarcher

Beitragsbild: © Isabella Abel